Weder national noch sozialistisch

Die NSDAP – Partei des Krieges und des Völkermords

Von Manfred Weißbecker

Es war schon erstaunlich: Der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) gelang es, von einer der kleinsten Organisationen im deutschen Parteienspektrum der Weimarer Republik zur mitglieder- und wählerstärksten Partei zu werden, die es je in der deutschen Geschichte gegeben hat und wohl (hoffentlich) in diesem Ausmaß nie wieder geben wird. Ihre Mitgliederkartei verzeichnete 55 Namen, als Hitler der Deutschen Arbeiterpartei beitrat, und 1943 – bevor sie kriegsbedingt eingestellt wurde – rund 6,5 Millionen. Danach sind noch viele Hunderttausende in ihre Verzeichnisse »aufgenommen« worden, etwa bei den rigorosen Überführungsaktionen der Hitlerjugend in die Partei anlässlich des jeweiligen »Führer«- Geburtstages.
Die NSDAP verfolgte unter allen bürgerlichen Parteien das strikteste Modell des Kampfes gegen die Arbeiterbewegung und strebte nach einer vollständigen »Ausrottung des Marxismus«. Dies ging einher mit der Entgegensetzung von Deutschen und »Nicht-Deutschen«, mit der Konstruktion einer Deutschen Volksgemeinschaft, die in Wohlstand und Ordnung leben könne, sobald sie die Juden aus Deutschland verjagt, »fremdrassische« Völker unterworfen oder ausgerottet und sich so »Lebensraum« erobert haben würde.
Diese Partei war in vielfacher Hinsicht eine des Krieges: erwachsen aus dem Ersten Weltkrieg führte sie Krieg im Innern als Voraussetzung des Krieges nach außen, erstrebte und entfesselte Kriege zur Schaffung eines »Großdeutschen Reiches aller Deutschen«. Letzteres stand in Punkt eins des Parteiprogramms, was nur bedeuten konnte, anderen Völkern sowohl Raum als Existenz rauben zu wollen.
In Übereinstimmung mit konservativen Ideologen lag der NSDAP an einer »Nationalisierung« der deutschen Arbeiter und der Gewinnung einer vorwiegend proletarischen Massenbasis. Dies ließ von vornherein jede Verwendung sozialpolitischer oder gar »sozialistischer« Formeln als zweckbezogenes Mittel erscheinen. So vermied sie während der 20er Jahre in den stark industrialisierten Teilen Deutschlands bewusst den Begriff »Nationalsozialismus« und bot sich als Partei der »nationalen Sozialisten« an. Dazu wurde zeitweise sogar eine Arbeitsgemeinschaft der nord- und nordwestdeutschen Gauleiter gegründet, die das 25-Punkte-Programm revidiert, zumindest aber ergänzt wissen wollte. Die als »linke Nazis« Bezeichneten wurden indessen rasch zur Räson gebracht.
Ohne den Nährboden einer wirtschaftlich krisengeschüttelten, aber ebenso ohne die politisch versagenden Eliten der deutschen Gesellschaft hätte die NSDAP weder sich so enorm entfalten noch an die Macht gelangen können. Zugleich erbrachte sie selbst beträchtliche »Vorleistungen«. Dazu gehörte insbesondere ihre Fähigkeit, programmatisch wie propagandistisch an tatsächliche Ängste und vermeintliche Bedürfnisse der Massen anzuknüpfen. Ihr gelang es, eine große Zahl von Mitgliedern und Wählern an die Erfüllbarkeit ihrer Heilsversprechungen dank terroristischer und rassistisch-friedloser Methoden glauben zu lassen. Dazu gehörte ebenso die durchaus geschickte Verknüpfung ihres Konzeptes »national plus sozialistisch« mit dem Bemühen, Massen zu politisieren und für rassistisch-antisemitische Ideen zu mobilisieren.
Nach dem 30. Januar 1933 wirkte die NSDAP als eine der wesentlichen »Säulen« des braunen Regimes. Ihre rund 150 000 Reichs-, Gau-, Kreis- und Verbände-Leiter wurden als »Hoheitsträger« bezeichnet und mit weit reichenden staatlichen Funktionen ausgestattet. In ihrem Apparat betätigte sich etwa eine Million hauptamtlicher und ehrenamtlicher Funktionäre. Die Partei stand zudem an der Spitze eines bereits in der zweiten Hälfte der 20er Jahre sorgfältig vorbereiteten Organisationensystems, das nahezu jeden, selbst den letzten Winkel der Gesellschaft erfasste. Wie keine andere Partei hatte sie nach 1933 einen bis dahin unbekannten, zuvor nicht für möglich gehaltenen flächendeckenden Grad individueller und gesellschaftlicher Organisiertheit der Bevölkerung erreicht. Sie war zum Träger einer Organisationen-Gesellschaft geworden, in der sich kaum einer – ob Arbeiter oder Gewerbetreibender, ob jung oder alt, Mann oder Frau – dem Einfluss eines breit gefächerten Systems ihrer »Gliederungen«, »Angeschlossener Verbände« und »Betreuter Organisationen« entziehen konnte. Leicht lässt sich ermessen, welche politische Schlagkraft allein aus dieser Organisiertheit resultierte.
Die Millionengefolgschaft der NSDAP stellte eine Voraussetzung ihres Erfolges dar und geriet zugleich zu einem ihrer wichtigsten Kennzeichen. Dieses bestimmte jedoch zu keiner Zeit das Programm, den Kurs und das Ziel der Partei – das tat ihre, den ökonomisch Mächtigen eng verbundene Führungsgruppe, in deren Kalkül jene Millionen Mitglieder und Wähler bereits vor 1933 ein unentbehrliches Instrument und Faustpfand im Kampf um die Staatsmacht dargestellt hatten. Dennoch: Das faschistische Regime hätte ohne die Massen nicht funktionieren können. Ohne »willige« Helfer wären kein totaler Krieg, keine barbarische Okkupationspolitik und erst recht kein Völkermord zu realisieren gewesen, ohne sie hätte in der Kriegszeit das System der rund 20 000 Zwangsarbeiterlager nicht geschaffen werden können, ohne sie wären wohl die meisten Deutschen nicht bereit gewesen, den Krieg so sinnlos und opferreich bis »fünf Minuten nach zwölf« zu unterstützen.
Insofern markiert die NSDAP den Höhepunkt in der Geschichte jener Parteien, die im Unterschied zu den vorhergehenden Honoratioren- oder Wählervereinen, den Interessen- und Klientelparteien als Massenparteien oder als Mitgliederintegrationsparteien zu bezeichnen sind. Ihr Einfluss besaß viele Ursachen. Sie stellte auf ihrem Weg in den Krieg für viele ein durchaus attraktives Integrationsangebot dar, gewährte sie doch nach der Weltwirtschaftskrise vielen Menschen neue berufliche Chancen, manchem bot sie auch eine Verbesserung des sozialen Status sowie dankbar angenommene Möglichkeiten zu persönlicher Bereicherung. Mit Recht ist gesagt worden, die vielgestaltigen Organisationen der NSDAP seien als eine Art »Versicherungsunternehmen« zu betrachten, dessen Inanspruchnahme als Schutz vor den Unwägbarkeiten des Arbeitsmarktes, als Garantie für den Umsatz der Gewerbetreibenden oder als »Eintrittsbillett« in ein Erfolg versprechendes Berufsleben, als Startposition im Ringen um sozialen Aufstieg empfunden werden konnte.
Insgesamt war die NSDAP ihrem Charakter nach eine auf dem Boden kapitaldominierter Verhältnisse entstandene und verbleibende politische Organisation, die in Wesen und Anliegen, in Struktur und Betätigungsfeld wesentliche Übereinstimmungen mit anderen Parteien aufwies, obgleich sie sich selbst oft als »Bewegung« und »Partei über den Parteien« darstellte. Auch die von Enttäuschung, Verärgerung, Hoffnungslosigkeit und Zukunftsangst getragene Politik- und Parteienverdrossenheit großer Teile der deutschen Bevölkerung trug dazu bei, dass schließlich eine an Radikalität und vermeintlicher Kompromisslosigkeit unübertroffene Organisation alle anderen zu überwältigen und eine das Parteienwesen eigentlich konterkarierende Einparteienherrschaft zu errichten in der Lage war.

Der Jenenser Geschichtsprofessor hat gemeinsam mit Kurt Pätzold das Standardwerk »Geschichte der NSDAP 1920 – 1945« sowie u. a. Biografien von Adolf Hitler und Rudolf Heß verfasst.

Groß inszeniert – die Reichsparteitage der NSDAP in Nürnberg
Foto: ND-Archiv; Bergschicker-Chronik

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ePaper – 26. Januar 2008