Erinnerung an den 7. März 1933 in Kassel:

Faschismus – das ist die Vernichtung der Rechte der Arbeiterbewegung

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich möchte meinen Beitrag mit einem Zitat beginnen:
„Heute Nachmittag von Nationalsozialisten unter dem Schutze von Polizei ohne Anlass Innenräume des Gewerkschaftshauses zerstört, Türen eingeschlagen, Mobiliar zertrümmert, Akten und Mitgliederverzeichnisse durch Fenster auf Straße geworfen, kostbare Zunftfahnen der Gewerkschaften mitgenommen und auf öffentlichem Platze verbrannt. Platten von Photographien, Aufnahmen über Zerstörungen mit vorgehaltenen Revolvern aus Wohnung des Photographen geraubt. Weitere Ausschreitungen zu befürchten. Ungeheure Empörung der Bevölkerung. Ersuchen um Einschreiten = Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund, Ortsausschuss Kassel.“

Mit diesem Telegramm wandten sich die Kollegen des Kasseler ADGB am 7.März 1933 an Reichspräsident Paul von Hindenburg, um „Schutz für die Freien Gewerkschaften“ gegen das Wüten der NSDAP einzufordern. Schon am Morgen des gleichen Tages hatten die Kollegen Haupt und Eckel um polizeilichen Schutz vor einer drohenden Aktion der NSDAP nachgesucht. Die Kasseler Polizei sah jedoch keinerlei Gefährdungspotenzial, so dass ein Schutz des Hauses abgelehnt wurde.

Dass dieser Schutz nicht gewährt wurde, war angesichts der historischen Umstände nicht überraschend:
Mit der Machtübertragung an die NSDAP am 30.Januar 1933 wurden nicht nur Adolf Hitler zum Reichskanzler und der Nazi Wilhelm Frick zum Reichsinnenminister ernannt, gleichzeitig wurden – beginnend in Preußen – die Vorbereitungen getroffen, die faschistische Saalschlacht Truppe SA als Hilfspolizei einzusetzen. Unmittelbar nach dem inszenierten Reichstagsbrand vom Ende Februar 1933 begannen Massenverhaftungen von Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern. Damit wurden die letzten Tage des Reichstagswahlkampfes genutzt, um mit politischem Terror alle Andersdenkenden einzuschüchtern. Schon vor der eigentlichen parlamentarischen Absicherung wurde damit deutlich, dass demokratische Regelungen des politischen Streits von nun an keine Grundlage mehr besaßen.

Waren schon in den Tagen nach dem Reichstagsbrand 10.000 Arbeiterfunktionäre verhaftet worden, brachen nach den Reichstagswahlen vom 5.März alle Dämme politischer Zurückhaltung gegenüber den politischen Gegnern aus der Arbeiterbewegung.
Und obwohl die Gewerkschaften noch unmittelbar nach der Machtübertragung die Mitglieder zur „Ruhe und unbedingten Disziplin“ ermahnt und alle Aufrufe der Kommunistischen Partei zum Generalstreik als unverantwortlich zurückgewiesen hatten, wurde der Terror unmittelbar nach dem Reichstagsbrand auch auf die Gewerkschaften ausgeweitet. Am 3.März erfolgte in Kassel das polizeiliche Verbot einer an diesem Tag geplanten Kundgebung der „Eisernen Front“, in der die Kasseler Gewerkschaften aktiv waren. Gleichzeitig fand an diesem Freitag, zwei Tage vor der Reichstagswahl, eine polizeiliche Durchsuchung des Kasseler Gewerkschaftshauses statt, als würden sich dort die „Reichstagsbrandstifter“ versteckt halten. Mehrere Gewerkschaftsangestellte wurden „zur Feststellung der Personalien“ verhaftet.

Das Ergebnis der Reichstagswahl fiel zwar auch in Kassel für die Nazis bei weitem schwächer aus, als es die NSDAP erhofft hatte, so mussten die Mandate der Kommunistischen Partei annulliert werden, um eine rechnerische 2/3 Mehrheit zu erhalten, aber das Versprechen, das Hitler und Göring am 20. Februar 1933 gegenüber führenden Industriellen und anderen Vertretern der Großindustrie gegeben hatten, dass dies die letzten Wahl sicherlich innerhalb 10 Jahren, voraussichtlich aber in 100 Jahren sei, gedachte man schon umzusetzen.

Und in diesem Rahmen störten die Gewerkschaften als politischer Faktor allemal. Schon in der Weimarer Republik galten die Gewerkschaften den Nazis als zu bekämpfende Feinde. Und während die SA – Truppen dies mit Straßenterror unterstrichen, unterstrich Adolf Hitler bei seinen Auftritten vor dem Düsseldorfer Industrieklub und in allen anderen Gesprächen mit Unternehmern und Bankiers, dass die soziale Demagogie der NSDAP rein taktischer Natur zur Gewinnung von Arbeitermassen als Wähler und Anhänger der NSDAP sei. Dafür wurde die NSDAP massiv finanziell und politisch unterstützt.

Trotz dieser offenkundigen Gegnerschaft der NSDAP gegenüber den freien Gewerkschaften bemühte sich die Führung des ADGB in den ersten Wochen und Monaten des Jahres 1933 eine weitgehende Anpassungspolitik gegenüber den Forderungen der NS-Regierung an den Tag zu legen. Man weigerte sich kampfbereite Mitglieder zum Schutz der Organisation zu mobilisieren, statt dessen appellierte man an die neue Regierung ihre sozialdemagogischen Versprechen auch einzuhalten. Doch solche freiwillige Einordnung in das System der faschistischen Macht wurde seitens der NSDAP und der SA-Führung in keiner weise honoriert, selbst eine Duldung der Gewerkschaften kam niemals in Betracht. Das hinderte den ADGB – Vorsitzende Fritz Tarnow jedoch nicht, noch Ende Februar 1933 auf einer SPD-Kundgebung in Kassel zu erklären: „Herr Hitler, wir warten! Rufen Sie uns, wir sind zur Stelle!“

Doch niemand aus der faschistischen Bewegung rief die Gewerkschaften. Vielmehr machten die Nazihorden – zumeist schlagend – deutlich, was sie von diesen Organisationen der Arbeiterbewegung hielten.

In dem Polizeibericht über die Vorgänge am 7.März 1933 in Kassel heißt es dazu:
„Als der Zug der NSDAP, an dessen Spitze sich Dr. Freisler (er war damals NSDAP-Fraktionsvorsitzender im Kasseler Stadtparlament und Abgeordneter des preußischen Landtages) und Gaupropagandaleiter Gerland befanden, vor dem Gewerkschaftshaus eintraf, war die Spohrstraße bereits von einer großen Menschenmenge besetzt. Eine Anzahl Personen, vorwiegend in Zivil, aber auch in Uniform der NSDAP, war in das Haus eingedrungen. Aus den Fenstern des Hauses wurden Fahnen, Bilder und Druckschriften auf die Straße geworfen. Um die Massen zu beschwichtigen und Ausschreitungen innerhalb des Gebäudes zu verhüten, begab sich Dr. Freisler sofort in dieses, riegelte die Treppe zu den Gängen des Hauses ab und hielt von dem Balkon des Hauses aus eine Ansprache, in der er ausführte, dass die NSDAP von dem Gebäude symbolisch Besitz ergriffen habe und man nunmehr zum Martinsplatz ziehen wolle, um im Zeichen eines neuen Volkssymbols die vorerwähnten Fahnen zu verbrennen. Auch wurde auf dem Gewerkschaftshaus die Hakenkreuzfahne gehisst. Alsdann setzte sich der Zug nach dem Martinsplatz in Bewegung, wo nach einer erneuten Ansprache des Rechtsanwalts Dr. Freisler die Verbrennung der Fahnen erfolgte.“ (StA MR 165/ 3982)

Zum „Schutz der öffentlichen Ruhe und Ordnung“ griff anschließend die Polizei ein – und schloss das Gewerkschaftshaus am 8.März 1933. Zwar wurde diese Schließung wieder aufgehoben, von einer freien gewerkschaftlichen Betätigung konnte keine Rede sein, wie alle Zeitzeugen, wie z.B. Max Mayr oder Karl Kuba bestätigten. Zum einen erfolgt eine „verstärkte Bewachung“ des Gewerkschaftshauses durch die Schutzpolizei, womit nicht ein erneuter Naziüberfall verhindert werden sollte, sondern nur, dass im Haus keine Einheiten der „Eisernen Front“ oder anderer Formen des proletarischen Massenselbstschutzes zusammenkommen können.

Ähnliche Terrorangriffe auf die Gewerkschaftshäuser erfolgten am 8.März in Dresden, am 9.März in Berlin und München und am 1.April in Hannover. Insgesamt wurden in diesen Tagen über 60 Gewerkschaftshäuser von den Nazi-Banden als „Hilfspolizei“ gestürmt und besetzt.

Zeitgenau zu den preußischen Kommunal- und Landtagswahlen erfolgt in Kassel am 12. März eine erneute polizeiliche Durchsuchung und Besetzung des Gewerkschaftshauses. Gewerkschaftsfunktionäre wurden verhaftet und in die „wilden Konzentrationslager“ in den SA-Sturmlokalen, ins Arbeiterwassersporthaus und anderen von den Nazis besetzten Objekten verschleppt, geprügelt und misshandelt.
Bekannt sind – nicht erst durch die Einladung zur heutigen Veranstaltung – die Schicksale von Otto Gehrke und Seppel Kaschel, die in die Kasseler Bürgersäle verschleppt wurden. Dort wurden sie von SA-Leuten schwerst misshandelt. In einem Schreiben vom 10.April 1933 dokumentierte der Landtagsabgeordnete Paul Röhle (SPD) insgesamt 14 Fälle von zum Teil schlimmsten Misshandlungen allein gegenüber aktiven Gewerkschaftern aus dem Raum Kassel.

All dies bedenkend kann es bei jedem historisch Interessierten bis heute immer nur ein Kopfschütteln hervorrufen, dass die führenden Funktionäre des ADGB in dieser Situation nichts eiligeres zu tun hatten, als sich mit der faschistischen Führung dahingehend zu verständigen als ADGB zum 1.Mai 1933 als den von der neuen Reichsregierung proklamierten „Tag der nationalen Arbeit“ aufzurufen.
In dem Aufruf des Bundesausschusses des ADGB vom 19.April 1933 heißt es dazu wörtlich:
Man fordere „die Mitglieder der Gewerkschaften auf, im vollen Bewusstsein ihrer Pionierdienste für den Maigedanken, für die Ehrung der schaffenden Arbeit und für die vollberechtigte Eingliederung der Arbeiterschaft in den Staat sich allerorts an der von der Regierung veranlassten Feier festlich zu beteiligen.“ (Gewerkschaftszeitung, Berlin, 22.April 1933, zit. nach Kühnl, Der Deutsche Faschismus, S. 215)
Der Bundesausschuss des ADGB gab mit dieser Erklärung jegliche eigenständige Option auf, plädierte allein für die Eingliederung in diesen Staat und übergab die Verantwortung für die Mai-Feiern an die neue, faschistische Regierung.
Der ADGB in Kassel folgte dieser reichsweiten Linie. Und so wurde auch in unserer Stadt der 1.Mai zum ersten Mal mit einer Militärparade und einem Aufmarsch aller Betriebe, an der teilweise auch die Unternehmer beteiligt waren, begangen. Dass dies nichts mehr mit den Idealen der Arbeiterbewegung zu tun hatte, muss sicherlich nicht weiter erläutert werden.

Doch die Bereitschaft des ADGB gemeinsam mit den neuen Machthabern den 1.Mai 1933 als „Tag der nationalen Arbeit“ zu begehen und damit auf einen offenen Widerstand gegen die faschistische Terrorpolitik zu verzichten, wurde nicht honoriert. Mit aller Brutalität gingen SA und Polizei am nächsten Tag gegen die Gewerkschaftshäuser vor, aktive Funktionäre wurden verhaftet und – wie die Morde an den vier Duisburger Gewerkschaftern zeigen – viele von ihnen mit dem Leben bedroht. Am 2. Mai 1933 vormittags wurde auf Anordnung der faschistischen Führung auch in Kassel das Gewerkschaftshaus durch SA und SS besetzt. Hilmar Stock, seines Zeichens Gauleiter der NSBO, der Nationalsozialistischen Betriebszellen Organisation, übernahm offiziell die Gewerkschaftsführung in Kassel. Das war der letzte Schritt zur Zerschlagung und Illegalisierung der Gewerkschaftsbewegung durch den Faschismus an der Macht.

Nach einem Bericht der „Kasseler Post“ fand am 8.Mai 1933 eine letzte ADGB – Funktionärsversammlung im Gewerkschaftshaus statt. 400 Gewerkschaftskollegen waren anwesend. Der ehemalige Vorsitzende des ADGB – Ortskartells Paul Haupt leitete die Sitzung, die dazu dienen sollte, wie Christine Fischer – Defoy beschreibt (S.63), „Klarheit über die Gleichschaltung der Gewerkschaften zu bekommen“. Dem zu diesem Zweck eingeladenen Hilmar Stock dankte Haupt für dessen klärenden Ausführungen und versprach „sachliche Zusammenarbeit“, nachdem Stock zu der Frage der zunächst entlassenen Gewerkschaftsfunktionäre ausgeführt hatte, dass niemand „wegen seiner Weltanschauung leidet oder hungert, wenn er willens und fähig ist, sich unter der nationalsozialistischen Führung wieder in den Dienst der Gewerkschaftsarbeit zu stellen.“

Welche Form von „Gewerkschaftsarbeit“ jedoch damit gemeint war, wurde auf Reichsebene am 10.Mai mit der Errichtung der „Deutschen Arbeitsfront“ deutlich gemacht. Dies war wahrlich keine Gewerkschaft mehr. Es war eine Zwangsinstitution, die mit „Zuckerbrot“ in Form von „Kraft durch Freude“ und „Schönheit der Arbeit“ versuchte Arbeiter zu gewinnen, gleichzeitig jedoch durch Zwangsschlichtung und Tarifeingriffe Unternehmerinteressen gegen Arbeiter durchsetzte. Dies konnte nicht überraschen, waren doch in der DAF auch die Unternehmer Mitglied, und zwar als „Betriebsführer“.
Im „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ hieß es dazu wörtlich: „Der Führer des Betriebes entscheidet der Gefolgschaft gegenüber in allen betrieblichen Angelegenheiten. … Diese hat ihm die in der Betriebsgemeinschaft begründete Treue zu halten.“ Es bedarf keiner Erläuterung, dass dies mit gewerkschaftlicher Interessenvertretung nicht das Geringste zu tun hat.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz der vorhin erwähnten Anpassungspolitik der ADGB – Führung sollte nicht vergessen werden, dass ungeachtet des politischen Terrors die Unterstützung der faschistischen Organisationen durch die große Zahl der organisierten Arbeiter sehr gering war. Weder waren Erwerbslose noch Beschäftigte selber massenhaft zur NSDAP und ihren Organisationen übergelaufen. Natürlich hatte die SA Einbrüche in das proletarische Milieu erzielen können. Es sind viele Berichte bekannt über die Spannungen, die sich bis in die einzelnen Arbeiterfamilien ausdrückten, wenn sich zumeist junge Männer aus Arbeiterkreisen der faschistischen Bewegung anschlossen. Aber – und dies kann auch für Kassel konstatieren werden – die faschistischen Kräfte hatten bis Mitte der 30er Jahre große Schwierigkeiten, im proletarischen Milieu – und dabei sind besonders die Kasseler Altstadt oder die Nordstadt, die Zentren der Arbeiterbewegung zu nennen – Fuß zu fassen. Hier lebte der antifaschistische Widerstand, fand seine soziale Basis und ein Aktionsfeld.

Auch in den Betrieben selber blieb die Akzeptanz gering. Während bei den Märzwahlen die NSDAP in Kassel über 48 Prozent der Stimmen erzielen konnte, konnten bei den Betriebsrätewahlen im März/ April 1933 die NSBO in Kassel nur 11,7 Prozent der Stimmen auf ihre Kandidaten vereinigen. Auch bei den späteren Vertrauensleutewahlen war, wie Willi Belz in seiner Studie „Die Standhaften“ schon vor vielen Jahren nachgezeichnet hat, die Unterstützung besonders in den Großbetrieben weit geringer als die Nazis sich erhofft hatten. So heißt es in einem Stapo-Bericht vom 9.Mai 1934: „Bei der Firma Henschel und Sohn, Kassel, konnte für die zur Wahl gestellten Personen (der NSBO, U.Schn.) keine Mehrheit erreicht werden, so daß der Wahlleiter die Betreffenden für gewählt erklären mußte.“ (StA MR, 165/3884)
Selbst im folgenden Jahr haben noch etwa 1/3 der Wahlberechtigten in den Henschelwerken gegen die NSBO/ DAF- Liste gestimmt.

Und es gehört zu den historischen Wahrheiten, die sich auch am Beispiel der Kasseler Geschichte belegen lassen, dass es die Kräfte der Arbeiterbewegung waren, die Arbeiterparteien, die KPD und die SPD sowie die verschiedenen sozialistischen Kleinorganisationen, wie die SAP oder der ISK und natürlich aktive Gewerkschafter, die von 1933 bis zur Befreiung von Faschismus und Krieg im Jahre 1945 Widerstand geleistet haben. Natürlich war es kein Massenwiderstand, lange Zeit waren die Gruppen sehr klein und kämpften scheinbar auf verlorenem Posten, aber sie kämpften und dokumentierten damit, dass es auch in Kassel „das andere Deutschland“ gab, jenes Deutschland, das sich nicht am faschistischen Raubkrieg beteiligte, das sich statt dessen der Vernichtungspolitik und dem Terror widersetzte. Es waren – zugegebenermaßen – wenige, aber es gab sie. Und sie sind die Traditionen, auf die die Arbeiterbewegung und die Gewerkschaften auch in Nordhessen mit Stolz zurückblicken können.
Wie wichtig es ist, sich ihrer zu erinnern, machten Dieter Scholz und Ursula Engelen-Kefer anlässlich des 30.Januar diesen Jahres deutlich. Sie zitierten dazu den tschechischen Journalisten und Widerstandskämpfer Julius Fucik mit den Worten:
“Ich möchte, dass man weiß, dass es keinen namenlosen Helden gegeben hat, dass es Menschen waren, die ihren Namen, ihr Gesicht, ihre Sehnsucht und ihre Hoffnungen hatten und dass deshalb der Schmerz auch des letzten unter ihnen nicht kleiner war, als der Schmerz des ersten, dessen Namen erhalten bleibt. Ich möchte, dass sie Euch alle immer nahe bleiben, wie Bekannte, wie Verwandte, wie Ihr selbst.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
für Antifaschisten und Gewerkschafter war es nach der Befreiung von Faschismus und Krieg unstrittig, dass Gewerkschaften als Einheitsorganisationen der arbeitenden Menschen eine klare antifaschistisch-demokratische Grundhaltung haben sollten.
Dies wurde bei der Gründung des Freien Gewerkschaftsbundes Hessen 1945 als antifaschistisch orientierte Einheitsorganisation des werktätigen Volkes bestätigt und drückt sich seit der Zeit in zahlreichen Grundsatzbeschlüssen und konkreten Aktionen des DGB’s und der Einzelgewerkschaften aus.

Daher ist die Feindschaft neofaschistischer Kräfte gegen die Gewerkschaften und aktive Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter verständlich. Ob unter dem Schlagwort der „Überwindung des Klassenkampfes“, der angeblichen „Verschleuderung von Arbeitergroschen“ oder als Reaktion auf antifaschistische Aktionen von Gewerkschaftern und ihrer Organisation – Neonazis jeder Couleur sehen in den Gewerkschaften einen ihrer Hauptfeinde. Versuche extrem rechter Mobilisierung in den Betrieben, wie z.B. die Deutsche Arbeitnehmer Vertretung (DAV), haben bislang keine ernstzunehmende Bedeutung erlangt, daher überrascht es nicht, dass Neonazis gewerkschaftliche Organisation und aktive Gewerkschafter selber als Gegner definieren. Sie gehen, wie der Fall des IG Metall Kollegen Zabel aus Neumünster deutlich macht, hier bis an die Grenzen des individuellen Terrors.

Aber nicht nur offen faschistische Kräfte bekämpfen die Gewerkschaften. Immer wieder sind von Unternehmerlobbyisten und reaktionären Kräften Forderungen nach Einschränkung des gewerkschaftlichen Handelns zu hören.
Man kritisiert „maßlose Forderungen“ der Gewerkschaften, sorgt aber dafür, dass Reiche noch reicher werden. Man kritisiert die „Starrheit des Tarifsystems“, will stattdessen Billiglöhne und Aufhebung von Kündigungsschutz. Man kritisiert die gesellschaftspolitischen Vorschlägen der Gewerkschaften in der Bildungs- und Sozialpolitik als „unzulässige Einflussnahme“, statt dessen will man neoliberale Deregulierung zu Lasten der sozial Schwächeren.

Und auf dieser Ebene haben sich jüngst einige Politiker der Opposition „weit aus dem Fenster gelehnt“.
Einer derjenigen, der mit fast missionarischem Eifer die Gewerkschaften verfolgt, ist Guido Westerwelle. Er lasse sich, verkündete er vor einigen Jahren, in seiner Kritik «im Interesse der Arbeitslosen nicht beirren». Gewerkschaftsfunktionäre würden Politik gegen ihre Mitglieder machen. «Mit aberwitzigen Protestaktionen gegen Steuersenkungen veruntreuen sie zu allem Überfluss auch noch die Beiträge ihrer Mitglieder», behauptete Westerwelle. Und er malte mal wieder die Horrorvision an die Wand: Deutschlands Wohlstand werde zugrunde gehen, wenn die Gewerkschaftsfunktionäre nicht entmachtet würden.
Nach Westerwelles Vorstellung soll dies in drei Schritten geschehen: Statt Flächentarifverträge müsse es Tarifverträge in den Betrieben geben, das Gesetz zur betrieblichen Mitbestimmung müsse überarbeitet werden und der gesteigerte Kündigungsschutz dürfe erst in Betrieben ab 20 Mitarbeitern gelten.

Und wenn Vertreter des Neoliberalismus aktiv sind, dann können Unionspolitiker zumeist nicht schweigen. Diese forderten: „Die Funktionäre der Gewerkschaften müssen sich aus den Angelegenheiten der Firmen spürbar zurückziehen. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel bei der Lohnfindung. Es gibt derzeit im Betriebsablauf zu viel Fremdbestimmung von außen.“ Die Politik dürfe nicht vor dem Konflikt mit den Arbeitnehmerorganisationen zurückschrecken. „Wenn man einen Sumpf austrocknen will, darf man nicht die Frösche fragen.“
Auch der Kündigungsschutz müsse gelockert werden. „Wenn in diesem Land eine Ehe leichter geschieden werden kann als ein Arbeitsverhältnis beendet, dann stimmt etwas nicht,“ behauptete der ehemaligen CDU-Fraktionschef Friedrich Merz.
Wer den Katalog solcher Grausamkeiten liest, der kann nicht umhin hierin einen Generalangriff auf alle sozialen Standards zu erkennen, die in den vergangenen Jahrzehnten vor allem durch die Gewerkschaften erkämpft worden sind. Ein solches Politikkonzept macht aber auch einmal mehr deutlich, wie wichtig gerade heute starke Gewerkschaften für die Sicherung und Weiterentwicklung sozialer und demokratischer Rechte und Errungenschaften sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die geschichtspolitische Erinnerung an den 7. März und den 2. Mai 1933 sollte natürlich nicht zu falschen Analogien verleiten. Weder ist die Weimarer Republik mit der Berliner Republik vergleichbar, noch stehen wir – trotz aller Angriffe auf die Gewerkschaften – vor Angriffen wie zur Zeit der faschistischen Machtübertragung.
Aber dennoch steht für uns als aktive Gewerkschafter und antifaschistischen Kräfte angesichts der historischen Erinnerung die Verantwortung für die Sicherung der gewerkschaftlichen Arbeit. Und das kann nur bedeuten:

Helft mit, Angriffe auf die Gewerkschaften und ihre Rechte zurückzuweisen!
Sorgt in gewerkschaftlichen und betrieblichen Debatten dafür, dass die antifaschistischen Orientierungen der Gewerkschaften verankert werden!
Tragt als aktive Mitglieder dazu bei, dass die Gewerkschaften für Frieden, Demokratie und sozialen Fortschritt ihren Beitrag leisten können!

Das wären die richtigen politischen Konsequenzen aus geschichtlicher Perspektive und eine angemessene Reaktion auf die aktuellen politischen Angriffe auf die Gewerkschaften.

Dr. Ulrich Schneider