Regierungsübertragung auf die NSDAP

Das Jahr 1932 war eine ewige Pechsträhne“, schrieb Joseph Goebbels am 25. Dezember 1932 in sein (1934 veröffentlichtes) Tagebuch, „man muss es in Scherben schlagen […]. Die Zukunft ist dunkel und trübe; alle Aussichten vollends entschwunden.“ Nach drei großen Anläufen – Reichspräsidentenwahl im April, Reichstagswahlen im Juli und November – stand die NSDAP noch immer vor den Toren der Macht, weil Hitler von seiner Maximalpolitik nicht abzubringen war. Nach dem eindrucksvollen Wahlsieg vom Juli hatte ihr Massenanhang im November abzubröckeln begonnen. Die Parteikasse war leer. Im Dezember wurde die NSDAP von Schleichers Spaltungsversuch und Gregor Strassers Rücktritt so schwer erschüttert, dass Hitler sich vorübergehend mit Selbstmordgedanken trug. Goebbels hatte also allen Grund zum Pessimismus. Nur fünf Wochen später, am 30. Januar 1933, notierte er begeistert: „Es ist fast wie ein Traum. Die Wilhelmstraße gehört uns. Der Führer arbeitet bereits in der Reichskanzlei.“ Diese erstaunliche Wendung lässt sich nur erklären, wenn man die Ziele und Aktivitäten derjenigen Teile der Eliten in Militär, Bürokratie und Wirtschaft in den Blick nimmt, die sich 1932/33 für Hitler einsetzten.

Befürworter Hitlers
Einzelne Schwerindustrielle wie Emil Kirdorf (Rheinisch-Westfälisches Kohlensyndikat) und Fritz Thyssen (Vereinigte Stahlwerke) unterstützten bereits seit 1927 bzw. 1929 die NSDAP. Am 27. Januar 1932 hielt Hitler einen Vortrag im Düsseldorfer Industrieklub, mit dem er die meisten anwesenden Wirtschaftsvertreter stark beeindruckte, indem er die auf das Privateigentum gegründete freie Unternehmerinitiative in der Wirtschaft und das nationalsozialistische Führerprinzip in der Politik miteinander verglich und beide auf das Leistungsprinzip zurückführte. Danach war den Zuhörern klar, dass die „sozialistischen“ Forderungen im Parteiprogramm der NSDAP von 1920 (Gewinnbeteiligung der Arbeiter in Großbetrieben, Bodenreform, Kommunalisierung der Warenhäuser) lediglich die Partei auch für Arbeiter und kleine Mittelständler wählbar machen sollten, während Hitler in Wirklichkeit nicht daran dachte, die Stellung der Unternehmer oder gar das Privateigentum an Produktionsmitteln anzutasten. Seither flossen der NSDAP auch von dieser Seite erhebliche Spenden zu.

Hitler und seine Vertrauten Hermann Göring und Heinrich Himmler bemühten sich um gute Beziehungen zu Unternehmerkreisen, weil sie wussten, dass sie ohne die Zustimmung zumindest eines Teils der Wirtschaft nicht an die Macht gelangen konnten. Ihre Kontakte verdichteten sich im Juni 1932 zur Bildung zweier, miteinander verzahnter, wirtschaftspolitischer Beraterstäbe. Der ehemalige Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht rief die „Arbeitsstelle Dr. Schacht“ ins Leben, für die er einige namhafte Industrielle und Bankiers gewann. Der süddeutsche Chemie-Unternehmer Wilhelm Keppler leitete den am 20. Juni 1932 gegründeten „Studienausschuss für Wirtschaftsfragen“, in dem elf Großindustrielle, Bankiers und Großagrarier mitarbeiteten. Vor allem der „Keppler-Kreis“ bildete im Herbst und Winter 1932 die „Keimzelle für wichtige Grundsatzentscheidungen nationalsozialistischer Wirtschaftspolitik, und zwar im Sinne der Großwirtschaft“.

Als das Institut für Konjunkturforschung Ende Oktober „erste Anzeichen für eine konjunkturelle Besserung“ meldete und die NSDAP bei der Novemberwahl erhebliche Verluste erlitt, schien eine Regierung Hitler in weite Ferne zu rücken. Dies veranlasste 22 NSDAP-nahe Vertreter von Schwerindustrie, Großlandwirtschaft, Handel, Schifffahrt und Banken (darunter acht Mitglieder des Keppler-Kreises) am 19. November 1932 zu einer Eingabe an den Reichspräsidenten. Darin forderten sie, endlich „dem Führer der größten nationalen Gruppe“ die „Leitung eines mit den besten sachlichen und personellen Kräften ausgestatteten Präsidialkabinetts“ zu übertragen.

Im Dezember 1932 alarmierte Schleichers NSDAP-feindlicher, scheinbar gewerkschaftsfreund-licher Kurs („Staatssozialismus“) vollends diejenigen nationalkonservativen Kräfte in Wirtschaft, Militär und Bürokratie, die Hitlers Ernennung zum Reichskanzler wünschten, weil sie glaubten, ihre alten Ziele – autoritäre (monarchistische) Umgestaltung des Staates, dauerhafte Ausschaltung von KPD, SPD und Gewerkschaften, Abbau der steuerlichen und sozialstaatlichen Belastungen der Wirtschaft, schnelle Überwindung des Versailler Vertrages, Aufrüstung – nur noch mit Hilfe der nationalsozialistischen Massenbewegung verwirklichen zu können. Dass Hitler kein Monarchist war, sondern eine „Führerdiktatur“ anstrebte, und dass auch er sozialpolitische Interessen der Arbeitnehmer nicht gänzlich ignorieren konnte, nahmen sie in Kauf, zumal sie glaubten, die NSDAP so „einrahmen“ und „zähmen“ zu können, dass sie im Sinne ihrer konservativen Bündnispartner regieren musste und sich selbst dabei politisch „abnutzen“ würde.

Bündnis zwischen Papen und Hitler
Hitlers Fürsprecher besaßen keinen direkten Zugang zum Reichspräsidenten. Dieses Problem lösten sie mit Hilfe Franz von Papens, der nach wie vor das volle Vertrauen Hindenburgs besaß und als Einziger in der Lage war, dessen Misstrauen gegenüber Hitler zu zerstreuen. Trotz seiner schlechten Erfahrungen mit dem NSDAP-Führer wechselte Papen nach dem Ende seiner Kanzlerschaft in das Lager der Hitler-Befürworter und machte sich zu deren Verhandlungs-führer, weil er darin eine Chance sah, in die Regierung zurückzukehren. Umgekehrt überwand Hitler jetzt seine Abneigung gegen Papen, da er nach der Strasser-Krise erkannte, dass sich die NSDAP in einer desolaten Lage befand, und er taktische Kompromisse machen musste, wenn er an die Macht gelangen wollte.

Am 16. Dezember 1932 hielt Papen im Berliner Herrenklub eine Rede zum Thema „Neuer Staat“. Unmittelbar danach bot ihm der Vorsitzende des Kölner Herrenklubs, der Bankier Kurt Freiherr von Schröder, Mitglied des „Keppler-Kreises“ und der „Arbeitsstelle Dr. Schacht“, die Vermittlung eines Gesprächs mit Hitler an. Vorher hatte er sich „mit einer Anzahl von Herren der Wirtschaft“ beraten. Am 4. Januar 1933 trafen sich Papen und Hitler im Kölner Privathaus des Bankiers zu einer Unterredung, die man nicht zu Unrecht als „Geburtsstunde des Dritten Reiches“ bezeichnet hat. Denn wie Schröder, der bei dem Gespräch nur zuhörte, 1947 im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess eidesstattlich erklärte, erzielten der NSDAP-Führer und der Hindenburg-Vertraute „ein prinzipielles Abkommen“ über Personal und Politik einer Regierung Hitler-Papen-Hugenberg, die möglichst schnell das Kabinett Schleicher ablösen sollte. Als Reichskanzler wollte Hitler unter anderem für „die Entfernung aller Sozialdemokraten, Kommunisten und Juden von führenden Stellungen“ und die „Wiederherstellung der Ordnung im öffentlichen Leben“ sorgen. Papen sollte Vizekanzler werden. Zur Klärung von Einzelheiten wurden weitere Besprechungen verabredet.

Folgt man Schröder, so zielten zu diesem Zeitpunkt die „allgemeinen Bestrebungen der Männer der Wirtschaft“ auf einen „starken Führer“, der dauerhaft regieren, ihnen die „Angst vor dem Bolschewismus“ nehmen und eine „beständige politische und wirtschaftliche Grundlage in Deutschland“ schaffen sollte. Auch seien von ihm umfangreiche Staatsaufträge erwartet worden. In dieser Frage ging ein Riss durch die Unternehmerschaft – während sich große Teile der besonders krisengeschüttelten Schwerindustrie an Rhein und Ruhr (Bergbau, Eisen- und Stahlerzeugung) der NSDAP zuwandten, setzten andere Industrien (Maschinenbau, Elektrotechnik, Optik, Chemie, Pharmazie und andere) überwiegend auf die Reichskanzler Papen und Schleicher (was Kritik an deren Politik nicht ausschloss).

Sondierungsgespräche
In dem politischen Dreieck NSDAP (Hitler, Göring, Frick), Papen/ Hindenburg und DNVP/ Stahlhelm (Hugenberg, Duesterberg) fanden unter Einschluss von einigen Industriellen Sondierungsgespräche statt. Am 9. Januar 1933 gab Hindenburg seine Zustimmung zu Verhandlungen Papens (hinter dem Rücken des amtierenden Kanzlers) über eine Koalitionsregierung unter Beteiligung der NSDAP, aber mit Papen als Reichskanzler. Zwei Tage später kam es zu Spannungen zwischen Hindenburg und Schleicher, als sich das Präsidium des Reichslandbundes über den „Agrarbolschewismus“ des Kanzlers beschwerte – Schleicher hegte im Osten ähnliche Siedlungspläne wie Brüning.

Am 17. Januar verhandelte Hitler mit Hugenberg; dabei lehnte der DNVP-Führer einen nationalsozialistischen Reichskommissar im preußischen Innenministerium und vor allem eine Reichstagsneuwahl ab. Beides aber forderte Hitler, weil er die Verfügungsgewalt der Nationalsozialisten über die preußische Polizei anstrebte und auf eine rechte Mehrheit hoffte, die ihm zu dem geplanten „Ermächtigungsgesetz“ verhelfen sollte. Vier Tage später entzog die DNVP Schleicher ihre parlamentarische Unterstützung, was dessen Stellung weiter schwächte. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Reichspräsident davon beeindruckt, dass ihm Personen von Rang und Namen, denen er sich verbunden fühlte, schriftlich oder mündlich die Bildung einer Regierung Hitler aus Stahlhelm, DNVP und NSDAP empfahlen – so der ehemalige Kronprinz Wilhelm, Gutsnachbar Oldenburg-Januschau und der alte Regimentskamerad General Werner von Blomberg (der schon länger der NSDAP nahe stand, was Hindenburg freilich nicht wusste).

Der Durchbruch wurde am Sonntag, dem 22. Januar 1933, bei einem Gespräch in Berlin im Hause des nationalsozialistischen Spirituosen-Großhändlers (und späteren Außenministers) Joachim von Ribbentrop erzielt, an dem Hitler, Göring und Frick, Papen, Meissner und Oskar von Hindenburg teilnahmen. Dabei konnten der Staatssekretär und der Sohn des Reichspräsidenten für Hitler gewonnen werden. Als Schleicher am 28. Januar zurücktrat, war der Widerstand des Reichspräsidenten gegen Hitlers Kanzlerschaft weitgehend überwunden. Hindenburgs Bedingung, von Blomberg müsse Reichswehrminister werden, war dem NSDAP-Führer nur recht.

Hitler wird Reichskanzler
Am 29. Januar 1933 einigten sich Hitler, Göring und Papen darauf, dass Papen Reichskommissar für Preußen, Göring kommissarischer preußischer Innenminister werden sollte. Der frühere thüringische NSDAP-Minister Wilhelm Frick war als Reichsinnenminister vorgesehen. Am Nachmittag sprach Papen mit Hugenberg und den beiden Stahlhelm-Führern Seldte und Duesterberg. Hugenberg war noch immer gegen Neuwahlen; aber das Angebot Hindenburgs, Doppelminister für Wirtschaft und Landwirtschaft im Reich und in Preußen zu werden, fand er verlockend. Seldte wünschte sich das Arbeitsministerium; nur Duesterberg blieb wegen der bei der Reichspräsidentenwahl erlittenen Diffamierung durch die NSDAP distanziert. Nachdem auch mehrere Mitglieder des Schleicher-Kabinetts ihre Mitarbeit angeboten hatten, war die Ministerliste so gut wie komplett.

Letztendlich wurde Hindenburg durch den „Osthilfe-Skandal“ und durch Gerüchte über einen bevorstehenden Militärputsch zu schnellem Handeln veranlasst. Seit dem 19. Januar 1933 untersuchte der Haushaltsausschuss des Reichstages auf Betreiben des Zentrums Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe und Verwendung von Staatsgeldern für die ostelbische Landwirtschaft. Auch Hindenburgs Freund Oldenburg-Januschau waren offenbar mehr Mittel bewilligt worden, als ihm zustanden. Sogar der Reichspräsident selbst kam ins Gerede, als bekannt wurde, dass er Gut Neudeck 1927 gleich auf den Namen seines Sohnes hatte eintragen lassen, um diesem die Erbschaftssteuer zu ersparen – ein legaler, aber anrüchiger Steuertrick, der Hindenburgs persönliche Integrität infrage stellen konnte. Umso mehr fürchtete der Reichspräsident, der sich stets für die Gutsbesitzer eingesetzt hatte, in den „Osthilfe-Skandal“ hineingezogen zu werden. Durch die Einbindung der Zentrumspartei in eine Regierung Hitler-Papen-Hugenberg, notfalls auch durch die vom NSDAP-Führer gewünschte Reichstagsauflösung, ließen sich weitere Untersuchungen des Haushaltsausschusses unterbinden. So zerstreute Papen Hindenburgs Bedenken gegen Hitler endgültig durch die Zusicherung, sich um den Eintritt des Zentrums in die Koalition zu bemühen, das heißt eine parlamentarische Mehrheitsregierung anzustreben, die ohne den Artikel 48 Weimarer Verfassung auskam.

Unterrichtsmaterial, bearbeitet nach: Informationen zur politischen Bildung (Heft 261)
Zerstörung der Demokratie 1930-1933 Reinhard Sturm

Arbeitsfragen:
1) Notiert wichtige Ereignisse, die den Weg der NSDAP zur Macht geebnet haben.
2) Welche gesellschaftliche Gruppen und Personen haben sich aus welchem Grund für die Regierungsübernahme der NSDAP eingesetzt?