Hitlers Rede vor dem Düsseldorfer Industrie-Club am 26. Januar 1932

Die Herren von Rhein und Ruhr lassen bitten. Hitlers Rede vor dem Düsseldorfer Industrie-Club am 26. Januar 1932

Der 26. Januar 1932 ist ein wichtiger Tag im Leben des Adolf Hitler. In Braunschweig wird seine Ernennungsurkunde zum „Regierungsrat“ ausgefertigt. Damit erwirbt er zugleich die deutsche Staatsbürgerschaft und kann bei den bevorstehenden Reichspräsidentenwahlen als Kandidat seiner Partei antreten. Vor allem wird er in den Abendstunden im Düsseldorfer Parkhotel eine Ansprache halten, die ihm den Weg zur Übernahme der Reichskanzlerschaft ein gutes Stück näher bringen soll. Vor mehr als fünfhundert Industriellen, Managern und Verbandsvertretern wird er die Grundlagen und Ziele seiner faschistischen Partei erläutern, um sich der tatkräftigen Unterstützung der Herren von Rhein und Ruhr zu versichern. Er weiß: Seit dem überwältigenden Wahlerfolg der NSDAP bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930, als seine Partei zur zweitstärksten parlamentarischen Kraft avancierte, haben sich die Kontakte zu Großindustriellen, Vertretern des Großgrundbesitzes und der Reichswehr intensiviert. Beträchtliche Summen wurden ihm aus diesen Kreisen zur Verfügung gestellt und einige dieser Herren machen inzwischen ihren Einfluss geltend, um ihn und seine Paladine in die Reichsregierung zu befördern. Doch der Auftritt im Düsseldorfer Parkhotel, organisiert vom überaus einflussreichen „Industrie-Club“, soll neue Sympathisanten gewinnen, weitere Geldbörsen öffnen und Vorbehalte gegen die faschistische Partei ausräumen.

Hitlers Sympathisanten machen mobil
Vorträge vor Repräsentanten der Großindustrie sind für Hitler nicht neu. Im Gegenteil. Seit seinem umjubelten Auftritt vor dem „Hamburger Nationalklub von 1919“ am 28. Februar 1926 im Großen Festsaal des Hotels Atlantic hat er wiederholt die Gelegenheit genutzt, vor Repräsentanten des Kapitals seine politischen Ansichten zu äußern. Noch wichtiger als diese Auftritte vor großem Publikum sind aber die zahlreichen Gespräche in vertraulicher Runde, die an Rhein und Ruhr, in Hamburg und seit 1931 ständig mit den Herren der Banken und der Industrie in Berlin stattfinden. In den Tagebüchern des Berliner Gauleiters der Faschisten Joseph Goebbels und des wirtschaftspolitischen Beraters Otto Wagener lesen wir dazu bemerkenswerte Notizen. Hitler empfängt in seinem Berliner Domizil, einer komfortablen Suite des Hotels „Kaiserhof“, regelmäßig führende Vertreter des Großkapitals zu intensiven Gesprächen. Die Industriellenfamilie Quandt, Großaktionäre u.a. bei Daimler-Benz und Varta, geht beim „Führer“ der NSDAP offenbar ein und aus. Der jüngste Sproß, der später in der BRD überaus einflussreiche Harald Quandt, meldet sich eines Tages bei Hitler „mit einer blauen Phantasie-Uniform, mit Dolch an der Seite. Indem er stramm den Arm zum deutschen Gruß erhob, sagte er: ‚Der jüngste Hitler-Junge Deutschlands meldet sich bei seinem Führer!’“
Neben den Quandts werden u.a. die Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden der Allianz-Versicherung, Kurt Schmitt und August von Finck, das Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, Emil von Stauß, und immer wieder Fritz Thyssen genannt, der Aufsichtsratsvorsitzende des größten schwerindustriellen Konzerns in Europa, der Vereinigten Stahlwerke AG.
Stauß begeistert sich bei einer sommerlichen Bootsfahrt auf der Havel im Jahre 1931 derart für die Pläne Hitlers, dass er – wie Otto Wagener notiert – einige Tage später Göring „einen größeren Betrag zur Verfügung“ und weitere Zahlungen bei Bedarf in Aussicht stellte. Thyssen hatte bereits die Finanzierung des „Braunen Hauses“ in München besorgt, überdies ist er im Dezember 1931 Mitglied der NSDAP geworden, für deren Regierungsteilhabe er sich vor allem im Präsidium des Reichsverbandes der Deutschen Industrie mit großem Engagement einsetzt.
Die Verbindungen zu den Herren von Rhein und Ruhr pflegt Hermann Göring, der aus dieser Quelle immer wieder Bargeld empfängt und es teilweise an Hitler persönlich aushändigt. „Umschlagplatz“ dieser Transaktionen ist Görings Berliner Wohnung in der Badenschen Straße 7 im Bezirk Schöneberg.
Alles spricht dafür, dass Hitler der Umgang mit dem Publikum bei seiner Rede am 26. Januar 1932 durchaus nicht fremd ist. Mit welchen Argumenten will er von seinem Auditorium weitere Unterstützung gewinnen?

„Herrensinn in Wirtschaft und Politik“
Bevor Hitler ans Rednerpult tritt, gilt es, die von der kommunistischen und sozialdemokratischen Presse mobilisierten Demonstranten vom Tagungsort fernzuhalten. Die Polizei nimmt Verhaftungen vor, veranlasst, dass im Erdgeschoss und in der ersten Etage des „Parkhotels“ die Jalousien geschlossen werden und versucht, die andrängende Mange zu zerstreuen. Hitler kann das Hotel nur durch einen Seiteneingang betreten. Gegen 18 Uhr beginnt er seine mehr als zweistündige Rede, die wiederholt von Beifallsbekundungen des Publikums unterbrochen wird. Wegen des großen Andrangs, es sind mehr als 600 Herren erschienen, muss in einem angrenzenden Raum zusätzlich eine Lautsprecherübertragung der Rede organisiert werden.
Hitler hält keine Rede zu den aktuellen Fragen der Politik. Vielmehr bietet er seiner Zuhörerschaft ein Referat über die Grundsätze und Ziele seiner Partei. Dabei knüpft er an die traditionell reaktionären Überzeugungen der Herren von Rhein und Ruhr an und verknüpft sie geschickt mit der politischen Programmatik seiner Partei. Gleich zu Beginn formuliert er seine Anschauung, dass es in Deutschland fortan keinen Platz für „das demokratische Prinzip“ geben dürfe. Nicht in der Politik, nicht in der Wirtschaft. Nicht dem Gleichheitsprinzip, sondern dem „Leistungsprinzip“ sei allenthalben Geltung zu verschaffen: „Es ist Wahnsinn zu sagen: Auf wirtschaftlichem Gebiete sind unbedingt Wertunterschiede vorhanden, auf politischem Gebiete aber nicht! Es ist vielmehr logisch, dass wenn ich auf dem Gebiete der Wirtschaft die absolute Anerkennung der besonderen Leistungen als die Voraussetzung jeder höheren Kultur anerkenne, ich dann politisch ebenso die besondere Leistung und damit die Autorität der Persönlichkeit voranstellen muss.“ Es müsse wieder „die Vermählung von Herrensinn im politischen Wollen und Herrensinn in der wirtschaftlichen Betätigung als unbedingt nötig anerkannt“ werden. Aus der Verschiedenheit menschlicher Leistungen ergebe sich die Legitimation des Privateigentums. Die Bekräftigung des uneingeschränkten „Herr-im-Hause-Standpunktes“, einer der zentralen Bestandteile des Selbstverständnisses der Industriellen an Rhein und Ruhr, muss wie Musik in ihren Ohren klingen.

Die „Gefahr des Bolschewismus“
Die größte Gefahr drohe Deutschland und der deutschen Wirtschaft von Seiten des Bolschewismus. Hierbei handle es sich um eine „Weltauffassung“, die gegenwärtig die „Grundlage eine der größten Weltmächte“, also der Sowjetunion, bilde. „Der Bolschewismus“, so fährt er fort, „wird, wenn sein Weg nicht unterbrochen wird, die Welt genauso einer vollständigen Umwandlung aussetzen wie einst das Christentum“. Man habe sich auf einen Generationen, ja auf einen Jahrhunderte währenden Kampf einzustellen: „30 oder 50 Jahre spielen dabei, da es sich um eine Weltanschauung handelt, gar keine Rolle“.
Zugleich verweist Hitler auf den von den Faschisten proklamierten Zusammenhang eines erfolgreichen Kampfes gegen den Bolschewismus mit der notwendigen Expansion des deutschen Imperialismus. „Wie soll ein Volk überhaupt noch einen Faktor nach außen darstellen, wenn 50 Prozent am Ende bolschewistisch orientiert sind? Es ist undenkbar, ein starkes und gesundes Deutschland zu schaffen, wenn 50 Prozent seiner Angehörigen bolschewistisch und 50 Prozent national orientiert sind. Um die Lösung dieser Frage kommen wir nicht herum!“ An dieser Stelle vermerkt das Protokoll „lebhaften Beifall“.
„Mit dem heutigen Volkskörper“, so fährt er fort, „kann man keine praktische Außenpolitik mehr machen.“ Hitler erinnert sein Auditorium an die Erfahrungen des November 1918, einem lange nachwirkenden Trauma für die Herrschenden. Die Lehre der damaligen Revolution hätten in Deutschland nur die Faschisten gezogen. Im Kern ginge es darum, „den Marxismus bis zur letzten Wurzel in Deutschland auszurotten“. Seine Partei und die SA könnten 400.000 Männer „auf die Straße herausbringen, die blinden Gehorsam in sich tragen, die jeden Befehl vollziehen“. Am Ende seiner Ausführungen bietet sich Hitler als den einzigen Ausweg aus der Krise für den deutschen Imperialismus an: nur er und seine „Bewegung“ könnten einen „gesunden, nationalen und schlagkräftigen Volkskörper“ schaffen, erfüllt von „Idealismus“ und fähig „neuen Lebensraum“ zu schaffen.
Den mehr als zweistündigen Rede-Marathon des Faschisten-Führers quittieren die Anwesenden einem „stürmischen, lang anhaltenden Beifall“.

„Hitler sprach Haniel und Thyssen aus der Seele!“
Tatsächlich stellt Hitlers Rede einen bedeutsamen Erfolg dar. Im Bericht eines anwesenden Beamten der Politischen Polizei heißt es, dass der Vortrag „einen tiefen Eindruck“ gemacht habe und die Herren Thyssen und Haniel, letzterer Großindustrieller und Vorsitzender des „Industrie-Clubs“, erkennen ließen, „dass Hitler allen aus der Seele gesprochen hat und die Gefolgschaft dieser Leute ihm sicher ist“.
Ungeachtet dessen sind die Weißwäscher des Kapitals seit jeher darum bemüht, die Bedeutung der unleugbaren Unterstützung bedeutender Kreise des Großkapitals für die faschistische Bewegung am Ende der Weimarer Republik zu leugnen. Die Rede vor dem Düsseldorfer Industrie-Club wird deshalb immer wieder als weitgehend bedeutungslos bezeichnet. „Die launenhafte Fortuna stand eindeutig auf Hitlers Seite“, schrieb einst der US-amerikanische Historiker Henry A. Turner. Nicht die launische Fortuna, sondern Schwerindustrielle von Rhein und Ruhr sowie Manager mächtiger Bank- und Versicherungskonzerne waren es, die an Hitlers Seite standen, um ihm endlich im Januar 1933 die Macht zu übertragen. Mit den Worten von Alfred Krupp von Bohlen und Halbach, formuliert in einem persönlichen Brief an Hitler vom 25. April 1933: „Die politische Entwicklung begegnet sich mit Wünschen, die ich selbst und das Präsidium des Reichsverbandes der Deutschen Industrie seit langem gehegt habe.“

Reiner Zilkenat